Einfach: KOLLWITZ

Kollwitz-Ausstellung im Städel Museum, Frankfurt am Main

Ein Name, der für sich spricht. Das Städel Museum in Frankfurt widmet Käthe Kollwitz, dieser berühmten deutschen Künstlerin des 20. Jahrhunderts, eine große Ausstellung – schlicht und einfach nur mit „KOLLWITZ“ überschrieben. 110 eindrucksvolle Arbeiten auf Papier, Plastiken und frühe Gemälde der Künstlerin zeigen die Vielfalt, Eindringlichkeit und Kraft ihres Werks, das bis heute nichts an Aktualität verloren hat; verstand sie sich als Künstlerin doch immer als „Sprechrohr für die nicht zu Wortkommenden“.

Käthe Kollwitz, Selbstbildnis mit aufgestütztem Kopf, 1889/91 - Städel Museum


Freunde von Convivio mundi werden sich noch an die bewegende Veranstaltung „Seltsam im Nebel zu wandeln“ im Februar 2018 im Leibnizhaus in Hannover erinnern. Damals wurden Texte und Lieder über das Leben im Alter präsentiert, u.a. von Käthe Kollwitz Tagebucheintragungen über das Leben mit ihrer alten, dementen Mutter aus den Jahren 1914–1925.

Birgit Brenner schrieb damals: „Sie beschreibt ihre Mutter als immer freundliche und gütige Frau, die ihre Persönlichkeit nicht wirklich verliert, auch wenn sie ganz woanders zu leben scheint. „ – dazu kommt bei ihr etwas im Ton, was nicht ohne weiteres Liebe oder Güte ist, es ist Hochgestimmtheit […] das ist trotz aller wirren Worte die Mutter, wie sie früher war. Dem kann keine Aderverkalkung beikommen.“ (April 1924) Im Unterschied zum heutigen Sprachgebrauch benennt sie den Zustand der Mutter nicht als Krankheit oder Mangel, sie wählt ganz andere Bilder: „Sie ist schon wie drüben.“ – „Es ist so ein gütiges, freundliches Hingehen.“ Trotz manches Eintrages, der auch das Aufreibende und Angespannte des Zusammenlebens deutlich macht, schreibt Käthe Kollwitz über die große Liebe, die sie zu ihrer Mutter empfindet.“
Charakterisieren nicht gerade diese Haltung und diese Liebe, diese Menschlichkeit und tiefe Zuneigung zu den „nicht zu Wortkommenden“, dieses „Ich sah die Welt mit liebevollen Augen“, wie sie in ihren „Erinnerungen“ schreibt, das künstlerische Werk von Kollwitz und erklären die zeitlose, unmittelbare Sprengkraft ihrer Bildsprache. Käthe Kollwitz thematisiert existenziell menschliche, oft unbequeme Fragen; sie will mit ihrer Kunst auf die Gesellschaft einwirken und sie zum Besseren verändern.

Besucher der großartigen Ausstellung im Städel Museum können nun die Künstlerin, deren Namen Schulen, Straßen, Plätze und Briefmarken tragen, aus vielen Blickwinkeln neu entdecken. Pointiert bezeugen die 110 ausgestellten Arbeiten insbesondere Kollwitz’ mutige und zielstrebige Entscheidung für die Druckgrafik und Zeichnung. Trotz ihrer Ausbildung zur Malerin wendet sie sich im Winter 1890/91 konsequent diesem Medium zu – ein riskanter Schritt, denn Druckgrafik wurde damals zwar verstärkt als eigenständige künstlerische Ausdrucksform geschätzt, doch behielt die Malerei ihre Vorrangstellung.

(Quelle: Städel Museum / Pressebilder)

Eine Reihe außergewöhnlicher Selbstbildnisse veranschaulicht gleich zu Beginn der Ausstellung die unglaubliche Experimentierfreude und Ausdruckstärke der Künstlerin. In den rund 55 Jahren ihrer Schaffenszeit in Zeichnung, Druckgrafik und Plastik entstehen über 100 Selbstportraits, in denen sie sich nicht nur mit ihrer eigenen Person oder der Rolle als Künstlerin, Frau und Mutter auseinandersetzt, sondern auch technische Verfahren sowie Haltungen, Gestik und Mimik für spätere Kompositionen erprobt.
Alles ist bei Kollwitz auf den Menschen konzentriert, sein Gesicht, seinen Körper. In großer Nahsicht packen uns Gesicht und Gestik, lassen uns oft nicht los, selbst dann, wenn Leid und Schmerz schwer auszuhalten sind. Beispielhaft seien hier die einzelnen Blätter aus der Folge Ein Weberaufstand (1893–1897) und die Radierung Beim Dengeln (1905), eine Bäuerin mit Sense, aus der siebenteiligen Radierfolge Bauernkrieg (1902/03–1908), oder Brustbild einer Arbeiterfrau mit blauem Tuch (1903) und Zwei Studien einer Arbeiterfrau (1910) aus der Ausstellung erwähnt.

Die Trauer um den im Ersten Weltkrieg gefallenen jüngeren Sohn Peter führt Kollwitz 1921/23 zu den Arbeiten an dem Holzschnittzyklus Krieg. Nach über 20 Jahren thematisiert sie in den Jahren 1937 bis 1939 erneut den Verlust ihres Sohnes Peter in ihrer Bronze Pietà (Mutter mit totem Sohn). Eine vierfach vergrößerte Nachbildung der Pietà steht seit 1993 in der Neuen Wache in Berlin dem zentralen „Gedenken der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“.

Käthe Kollwitz, geboren 1867 in Königsberg, gestorben 1945 in Moritzburg, lebt und arbeitet in einer Zeit radikaler Umbrüche. Armut, Hunger und Verzweiflung begegnen ihr in der Berliner Kassenarztpraxis ihres Mannes täglich, Tod und Vernichtung muss sie in zwei Weltkriegen durchleben.
Im Nationalsozialismus als „entartet“ geächtet, versuchen nach dem Zweiten Weltkrieg Ost wie West sie für sich als Vorbild für den kulturellen und geistigen Neuanfang zu vereinnahmen. Doch ihr Werk hält jeder politischen Vereinnahmung stand. Auch dies zeigt die Ausstellung eindrucksvoll.

„In mir war Zielrichtung“, beschreibt sie sich selbst in ihren „Erinnerungen“ und so entwickelt sich Käthe Kollwitz ausdauernd, entschlossen und zielbewusst zu einem machtvollen „Sprechrohr“ im Kampf um Menschlichkeit und Menschenwürde in dieser Welt:
„Kunst kann sich zum Sprechrohr machen für die nicht zu Wortkommenden. Die Schöpfungen aber entstehen nicht aus Partei, sondern aus Menschheitsgefühl und stehen turmhoch über dem kurzsichtig leidenschaftlichen Parteikampf.“ (1919)

Das Städel Museum zeigt die Ausstellung „KOLLWITZ“ bis zum 9. Juni.

Der Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von Regina Freyberger, ist im Hatje Cantz Verlag, Berlin erschienen.


Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Freitag, 12. April 2024

Einfach: KOLLWITZ

Kollwitz-Ausstellung im Städel Museum, Frankfurt am Main

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