Junge Comic-Helden verteidigen die Menschenrechte

Interview mit Imran Azhar, Verleger in Karachi, Pakistan

In seinem langen Berufsleben als Hotelmanager in Afrika, Mittleren Osten und Europa hat der Pakistaner Imran Azhar viel erlebt. So beeindruckten und begeisterten ihn Freunde, die in Nigeria mit Kindern arbeiteten, die in die Armee der Kindersoldaten gezwungen wurden, aber noch nicht getötet hatten. Mit Geschichten, Bilderbüchern und Comics wurden sie erfolgreich zurückgeholt.

Imran Azhar, seit seiner Kindheit ein Fan von Comics und Storytelling (Geschichten erzählen), ging zurück nach Pakistan und begann den Comic-Verlag Azcorp Entertainment (AZ Corp) aufzubauen. In den Geschichten kämpfen junge Comic-Helden, Mädchen und Jungen, Hindus, Christen und Moslems gegen Gewalt, Ungerechtigkeit und Vorurteile. Im Gespräch mit Renate Müller De Paoli sagt er: “Wir wollen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen, denn in diesem Alter sind sie noch offen und bilden ihre eigene Meinung. Wir meinen, dass diese Altersgruppe einen Unterschied bedeuten kann, wenn wir ihnen Alternativen vorstellen.“

Imran Azhar
Imran Azhar


Herr Azhar, was bewegt einen Hotelier – Sie haben viele internationale Hotels in Afrika, Europa und im Mittleren Osten geleitet – die Laufbahn zu verlassen und Verleger zu werden?

Beides hat mich schon immer fasziniert. Ich bin mit Comicbüchern aufgewachsen, war schon immer ein großer Fan der Popkultur. Irgendwann habe ich dann verstanden, welche Kraft vom Geschichtenerzählen ausgeht, was es bewegen kann. Gleichzeitig gefiel mir aber auch die Welt der Hotels, mit der ich zum ersten Mal Bekanntschaft machte, als ich mit ein paar Schulfreunden auf die Malediven fuhr. Sofort war ich von der positiven Dynamik, die ein Hotel ausstrahlt, gefangen. Ich bin ein Mann des Volkes und beziehe meine Energie von anderen. Nach 25 wunderbaren Jahren bei Starwood Hotels & Resorts (heute Marriott Hotels) wollte ich zurück nach Pakistan. Ich hatte beschlossen, eine Firma zu gründen, die unseren unbesungenen Helden eine Stimme gibt und neue Helden bildet. Also stürzte ich mich ins Publizieren.


Kinder und Jugendliche sind Ihre Hauptzielgruppe. Warum gerade diese Gruppe? Welche Inhalte wollen Sie ihnen im Vergleich zu anderen Medien vermitteln? Wie unterscheiden sich Protagonisten und Ideen in Ihren Comics z. B. zur Realität die Kinder täglich in den ärmsten Gebieten von Karachi erleben? Oder was z. B. Malala durchleben musste, nur weil sie ihr Recht einforderte, in Pakistan als Mädchen zur Schule zu gehen.

Wir wollen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen, denn in diesem Alter sind sie noch offen und bilden ihre eigene Meinung. Wir meinen, dass diese Altersgruppe einen Unterschied bedeuten kann, wenn wir ihnen Alternativen vorstellen. Die zeigen wir ihnen in unseren Stories, aber wir predigen dabei nicht. Unsere Helden sind nicht anders als andere Helden, sie sind multi-ethnisch und multi-kulturell, sie verkörpern Selbstlosigkeit, Mitgefühl und Empathie, den Wunsch, Gutes zu tun. Der Unterschied liegt darin, dass sie hausgemacht sind und unsere Vielfalt als Segen und nicht als Fluch darstellen. Unsere Helden zeigen nicht nur bodenständige Wirklichkeit, sondern eine unserer Reihen, Mein Hero/I Am A Hero, entwickelt ihre Geschichten mit der Hilfe von Schülern und Studenten, die eigene Helden kreieren. Sie machen in ihrem eigenen Umfeld Herausforderungen ausfindig und finden gemeinsam Lösungen, mit unserer Hilfestellung. Unsere Helden stellen uns also selbst dar, sie packen wirkliche Probleme an, die zugeordnet werden können. Und das alles passiert in Form von Unterhaltung.


Wie ist “Team Muhafiz” (“Die Beschützer”), der erste Comic, den Sie herausgegeben haben, entstanden? Wie war der Anfang? Lassen Sie uns ein wenig in die „Geheimnisse“ der AZ Corp., ihrem Verlagshaus blicken.

Team Muhafiz war unsere erste Reihe, Ausgangspunkt waren zehn junge Helden, fünf Mädchen und fünf Jungen. Ihre Anführerin ist Parinaaz, eine junge Jurastudentin, die sich gegen soziale Ungerechtigkeit auflehnt. Mit TM I wollte ich wirklich unsere Vielfalt hervorheben und das Positive an unseren Jugendlichen zeigen. Die leisten nämlich unglaubliche Arbeit, erhalten dafür aber nicht genügend Lob.
Der Anfang war schwer, ich verstand nichts von der Comicbuch-Branche und genauso wenig vom Verlagswesen. Also habe ich Fehler gemacht und bin mehrfach auf die Nase gefallen. Man muss auch erstmal verstehen, dass das Comicbuch-Geschäft selbst die Nachfrage bei der Zielgruppe entwickeln muss, deshalb sind in dem Bereich auch nicht so viele Investitionen geplant.
Es gibt bei uns keine Geheimnisse; bevor wir die Skripte entwickeln, recherchieren wir direkt und im Umfeld, und wir hören uns um. Sobald das Skript steht, beginnt die Arbeit an der Illustration. Normalerweise wird zuerst das Konzept ausgearbeitet, dann folgt eine Strichzeichnung, wir wählen Farben und Beschriftung (Sprechblasen), bevor es schließlich ans Formatieren und Design geht. Wenn die Vorlage abgesegnet ist, schicken wir sie in die Druckerei und weiter zum Vertrieb, die Leute können die Bücher oder digitalen Ausgaben aber auch direkt über unsere Website kaufen.

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Warum haben Sie sich von Anfang an für die Comic-Form entschieden?
Weil es die einfachste Methode ist, in der Welt der Pop-Kultur eine Serie auszuprobieren. Es wäre schön gewesen, wenn ich genug Geld gehabt hätte, um zu den Mainstream-Medien zu gehen, zum Beispiel zu einer Fernseh-/Internet-Animationsserie. Aber jetzt ziehen wir hier im Land und auch international viel Aufmerksamkeit auf uns, schaffen also genau dasselbe. Hoffentlich bekommen wir auch genug Geld und können bald anfangen. Da bin ich aber voller Hoffnung.


Wie finden Sie die KünstlerInnen für die Illustrationen? Wo suchen Sie?

Der Markt im Land ist reif und wir helfen definitiv, der Branche auch hier den Weg zu ebnen. Wir suchen nach Talenten unter den Illustratoren, inzwischen haben wir einen Pool von sehr tüchtigen und leidenschaftlichen Illustratoren, die bahnbrechend wirken, wenn man sie nur lässt. In Pakistan finden wir die Talente über Communities im Internet und an den Universitäten. Viele sprechen uns aber auch direkt an.


Welche Reaktionen bekommen Sie von den Kindern und Jugendlichen, Ihrer Zielgruppe? Und wie werden Ihr Ansatz und Ihre Arbeit von den verschiedenen politischen und religiösen Gruppen gesehen?

Die Reaktionen sind sehr positiv, was wir machen, kommt an. Aber trotzdem stehen wir auch vor Herausforderungen: Da ist zum einen die Verfügbarkeit – das Vertriebsnetz für Bücher und Comics ist auf die großen Städte beschränkt. Zum anderen gibt es für unsere Zielgruppen ein vielfältiges Angebot an Unterhaltung, von Filmen bis zu Spielen. Das ist nicht nur in Pakistan so, sondern sogar in Nordamerika wäre das traditionelle Comicbuchgeschäft um ein Haar gescheitert, bevor Disney und Warner Brothers Marcel & DC Comics aufgekauft haben und die Inhalte zu millionenschwerer Konzessionsware machten. Ich denke, das ist sehr ermutigend, denn überall auf der Welt werden Inhalte zu einem gewinnträchtigen Geschäft. Was Reaktionen von politischen und religiösen Gruppen angeht, so hatten wir bisher keinen Ärger und ich erwarte auch keinen für die Zukunft. Denn erstens sind wir unpolitisch und nicht religiös und zweitens sind alle unsere Inhalte kulturell angemessen. Wenn ich das noch sagen darf: Nicht immer wird Pakistan verstanden und genau deshalb wollen wir die andere Seite unseres Landes zeigen, über die nationale und internationale Medien nur selten berichten. Pakistan ist ein junges, dynamisches Land mit über 200 Millionen Menschen, und 65 Prozent unserer Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Diese Menschen leisten Erstaunliches. Natürlich stehen wir, genauso wie andere Länder der Welt, auch vor Herausforderungen, aber das ist definitiv nicht die Mehrheit. Nicht, wenn man genau hinschaut und in Communities lebt.


Es scheint, dass Ihre Comic-Helden inzwischen eine wachsende Fan-Gemeinde haben. Wie viele Titel haben Sie bisher herausgegeben? Wie groß ist die Leserschaft jetzt? Haben Sie ein Verteilernetz nur in Karachi oder auch in den ländlichen Gebieten Pakistans?

Bisher haben wir vier Serien herausgebracht, wir haben über 30 Comicbücher, 23 kurze Dokumentationen und 2 Audioserien veröffentlicht. Im nächsten Monat starten wir unsere Comicreader-App, die auf Abobasis funktionieren wird, ganz ähnlich wie Netflix: für einen minimalen Beitrag so viel sehen wie man will. In den ersten drei Monaten werden wir eine Werbeaktion starten und sie zunächst kostenlos anbieten. Im Moment geben wir unsere Sachen landesweit an mehr als 300 Schulen, wir haben über 100.000 an Städte und Landgemeinden verteilt, und sie sind über den normalen Handel erhältlich. Wir bekommen über unser Nachnahme-Modell zwar Bestellungen aus ländlichen Regionen Pakistans, aber dort arbeitet kein größerer Vertrieb. Wir haben Glück, dass sogar unsere jüngste Serie Sheeba & the Private Detectives als Pilotprojekt in 250 Schulen gestartet ist. Alle diese Schulen waren entweder staatliche Schulen, Schulen mit geringem Schulgeld oder informelle Schulen, von Karachi bis weit ins nördliche Pakistan.


Wie sieht der Buchmarkt in Pakistan aus? Haben Sie viele Wettbewerber? Welche Rolle spielen die neuen Medien in Pakistan?

Der Buchmarkt lebt hauptsächlich von akademischen Lehrbüchern und Nachschlagewerken, Literatur und Unterhaltungsmaterial macht nur einen kleinen Teil vom Umsatz aus. Man verzeichnet einen Trend zum Edutainment, zu bildender Unterhaltung – und genau das ist es ja, was wir machen. Ich glaube, das ist der Weg, den wir gehen sollten: Lernen und Spaß dabei haben.


Herr Azhar, wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus? Planen Sie ihre Comic-Reihen auch in anderen Sprachen, z. B. in Deutsch herauszugeben?

Da sind wir sehr optimistisch, wir planen in Richtung Animation und Gaming und wollen unsere jetzt schon sehr beliebten Serien in die digitale Welt herüberbringen. Und da es unsere Inhalte bereits auf Urdu und Englisch gibt, prüfen wir jetzt Möglichkeiten für die Übersetzung unserer Comicbücher ins Französische, Deutsch und Chinesische.

Herr Azhar wir danken Ihnen.


Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Montag, 20. August 2018
Übersetzung aus dem Englischen von Ortrun Cramer, Wiesbaden

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