Büffelhaut und Kreatur.

… in einem sternbestickten Mantel durchs Leben gehen
Buchbesprechung


(©Buchcover: Wallstein Verlag)
(©Buchcover: Wallstein Verlag)


„Ich sehe oft um Mitternacht,
Wenn ich mein Werk getan
Und niemand mehr im Hause wacht,
Die Stern' am Himmel an."

So beginnt das wunderschöne Gedicht Die Sternseherin Lise von Matthias Claudius. Nun im Juli 2022, rund 200 Jahre später, ist die italienische Astronautin Samantha Christoforetti bei ihrem Weltraumspaziergang als erste Frau in der Menschheitsgeschichte den Sternen noch näher gekommen und für eine Zeit dem beängstigenden, rohen Treiben auf der Erde und dem Krieg in Europa entrückt. Auch im Dezember 1917, als Rosa Luxemburg, die Sozialistin und Kriegsgegnerin, ihren berührenden „Büffelbrief“ an ihre Freundin Sonja Liebknecht aus dem Breslauer Frauengefängnis schreibt, tobt in Europa der Erste Weltkrieg. Und dennoch wünscht sie in all dem Grauen, dem Leid und Tod und der Zerstörung des Krieges ihrer Freundin, „dass Sie in einem sternbestickten Mantel durchs Leben gehen, der Sie vor allem Kleinen, Trivialen und Beängstigenden schützt.“

„Es ist mein drittes Weihnachten im Kittchen, aber nehmen Sie es ja nicht tragisch.“, schreibt sie an ihre „Sonitschka“. „Da liege ich still allein, gewickelt in diese vielfachen schwarzen Tücher der Finsternis, Langeweile, Unfreiheit des Winters – und dabei klopft mein Herz, von einer unbegreiflichen, unbekannten inneren Freude, wie wenn ich im strahlenden Sonnenschein über eine blühende Wiese gehen würde. Und ich lächle im Dunkeln dem Leben, wie wenn ich irgendein zauberndes Geheimnis wüßte, das alles Böse und Traurige Lügen straft und in lauter Helligkeit und Glück wandelt. Und dabei suche ich selbst nach einem Grund zu dieser Freude, finde nichts und muß wieder lächeln über mich selbst. Ich glaube, das Geheimnis ist nichts anderes als das Leben selbst; die tiefe nächtliche Finsternis ist so schön und weich wie Samt, wenn man nur richtig schaut.“

Und später schreibt sie: „Ach, Sonitschka, ich habe hier einen scharfen Schmerz erlebt“ und beschreibt, wie Büffel als Zugtiere eingesetzt und gequält werden: „Vor einigen Tagen kam also ein Wagen mit Säcken hereingefahren, die Last war so hoch aufgetürmt, daß die Büffel nicht über die Schwelle bei der Toreinfahrt konnten. Der begleitende Soldat, ein brutaler Kerl, fing an, derart auf die Tiere mit dem dicken Ende des Peitschenstiels loszuschlagen, daß die Aufseherin ihn empört zur Rede stellte, ob er denn kein Mitleid mit den Tieren hätte! ,Mit uns Menschen hat auch niemand Mitleid’, antwortete er mit bösem Lächeln und hieb noch kräftiger ein … Die Tiere zogen schließlich an und kamen über den Berg, aber eins blutete … Sonitschka, die Büffelhaut ist sprichwörtlich an Dicke und Zähigkeit, und die ward zerrissen. Die Tiere standen dann beim Abladen ganz still erschöpft und eines, das, welches blutete, schaute dabei vor sich hin mit einem Ausdruck in dem schwarzen Gesicht und den sanften schwarzen Augen wie ein verweintes Kind. Es war direkt der Ausdruck eines Kindes, das hart bestraft worden ist und nicht weiß, wofür, weshalb, nicht weiß, wie es der Qual und der rohen Gewalt entgehen soll … ich stand davor und das Tier blickte mich an, mir rannen die Tränen herunter – es waren seine Tränen, man kann um den liebsten Bruder nicht schmerzlicher zucken, als ich in meiner Ohnmacht um dieses stille Leid zuckte. … der Soldat aber steckte beide Hände in die Hosentaschen, spazierte mit großen Schritten über den Hof, lächelte und pfiff einen Gassenhauer. Und der ganze herrliche Krieg zog an mir vorbei …“

Rosa Luxemburg (1915)
Rosa Luxemburg (1915) (© Foto: Wikipedia / Bundesarchiv gemeinfrei)

Karl Kraus, der Herausgeber der „Fackel“, findet diesen Brief Rosa Luxemburgs im Mai 1920 in der Wiener „Arbeiter-Zeitung“. Er druckt ihn wenig später in der „Fackel“ ab und beginnt ihn auch öffentlich vorzulesen. Für ihn gehören die Briefe, die Rosa Luxemburg während des Krieges aus dem Gefängnis geschrieben hat, „wohl zum Allerschönsten“. Auch Walter Benjamin ist „von deren unglaublicher Schönheit und Bedeutung ganz betroffen.“ Und in den späten sechziger Jahren findet sich ein Echo des Büffelbriefes in Paul Celans Gedicht „Coagula“.

Dem Wallstein Verlag ist es zu danken, dass Rosa Luxemburgs „Büffelbrief“, wie auch darauf die Reaktion einer „anonymen Briefschreiberin“ und Karl Kraus’ Antwort „an eine Unsentimentale“ in einem feinen, kleinen Büchlein mit dem Titel Büffelhaut und Kreatur. Die Zerstörung der Natur und das Mitleiden des Satirikers erneut erschienen sind.

Denn, wo „rohe Kräfte sinnlos walten“, ändern Menschen, die „in einem sternbestickten Mantel durchs Leben gehen“ und wie Matthias Claudius’ Sternseherin Lise von der Sehnsucht nach den Sternen und einer besseren Welt erfüllt sind, trotz vermeintlicher Ohnmacht die Richtung.

Die Sternseherin Lise

Ich sehe oft um Mitternacht,

Wenn ich mein Werk getan

Und niemand mehr im Hause wacht,

Die Stern' am Himmel an.

Sie gehn da, hin und her zerstreut

Als Lämmer auf der Flur;

In Rudeln auch, und aufgereih't

Wie Perlen an der Schnur;

Und funkeln alle weit und breit,

Und funkeln rein und schön;

Ich seh die große Herrlichkeit,

Und kann mich satt nicht sehn...

Dann saget, unterm Himmelszelt,

Mein Herz mir in der Brust:

>Es gibt was Bessers in der Welt

Als all ihr Schmerz und Lust.<

Ich werf mich auf mein Lager hin,

Und liege lange wach,

Und suche es in meinem Sinn,

Und sehne mich darnach.

(Matthias Claudius 1740-1840)


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Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Sonntag, 31. Juli 2022

Buchbesprechung

… in einem sternbestickten Mantel durchs Leben gehen

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