"Im Labyrinth des Schweigens"

Interview mit Giulio Ricciarelli

„Im Labyrinth des Schweigens“ ist eine unglaubliche Reise in das Nachkriegsdeutschland der 1950-1960er Jahre, zu der Regisseur und Drehbuchautor Giulio Ricciarelli in seinem Kinospielfilmdebüt einlädt. Und eine großartige Homage an den früheren hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und dessen Verdienst um die Auschwitz-Prozesse. Mitten im Traum vom „deutschen Wirtschaftswunder“ wurde „die Büchse der Pandora damals in Frankfurt geöffnet“. Bauer erhielt Anfang 1959 von dem Journalisten Thomas Gnielka Auschwitz-Dokumente, die er bei einem in Frankfurt am Main wohnenden Holocaust-Überlebenden entdeckt hatte. Der Stein kam ins Rollen, Bauer zwang die deutsche Nachkriegsgesellschaft „schließlich sogar über sich selbst zu Gericht zu sitzen“, so Ricciarelli. Im Gespräch mit Renate Müller De Paoli gibt Giulio Ricciarelli Einblicke in die Entstehung von „Im Labyrinth des Schweigens“.

Giulio Ricciarelli
Giulio Ricciarelli


Herr Ricciarelli zunächst einmal danke, dass Sie Deutschland diesen bewegenden Film geschenkt haben. Was war für Sie der Auslöser, dieses Filmprojekt zu wagen?


Ich war auf der Suche nach einer starken Geschichte, als ich auf diesen Stoff aufmerksam wurde. Ich habe schnell die Kraft und Tiefe dieses Themas erkannt, Elisabeth Bartel und ich haben dann das Buch geschrieben.

Im Film rücken Sie den jungen Staatsanwalt Radmann ins Zentrum, der zunächst nichts mit dem Namen „Auschwitz“ verbindet. Aber wissen will … Sie lassen ihn dann eine unglaubliche Entwicklung durchmachen. Gewollt oder ungewollt fordern Sie jede Form von „Normalisierungsgesellschaft“– nicht nur die der Nachkriegszeit – durch Radmann heraus. Ist das Ihre Absicht?

Ja, das ist das interessante an der Figur, ein Mensch, der es sich nicht bequem macht, der untersucht, forscht und fragt, der es sich und der Gesellschaft schwer macht. Ein toller Charakter.

Künstlerische Freiheit des Filmemachers und historische Faktenlage, wie weit klafft die Schere auseinander? Wie sehr nähert sich der junge Staatsanwalt Radmann den realen Vorbildern? Wie tief sind Sie und die Schauspieler in die Recherche eingestiegen?

Die emotionale Reise des Staatsanwaltes ist erfunden, von den historischen Figuren sind Aspekte eingeflossen, wir haben aber auch frei geschaffen. Diese emotionale Reise ist es, die den Zuschauer fesselt, ihn bewegt und in den Film hineinzieht. Im Rest der Geschichte sind wir dafür historisch so genau wie möglich.

Sie setzen gleichzeitig dem früheren hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, diesem herausragenden Juristen der Nachkriegszeit und dessen Verdienst um die Auschwitz-Prozesse ein wichtiges Denkmal. Bauer wusste, wie „dünn die Haut der Zivilisation war und ist.“ – wie die gegenwärtige Entwicklung auf dramatische Weise zeigt. Worauf kam es Ihnen im Verhältnis zwischen Bauer und seinen Staatsanwälten an? Im Film spielt Bauer eher eine „Hintergrundrolle“, hält aber dennoch die Fäden fest in der Hand und zieht sie. Sehen Sie seine Rolle im Aufbrechen des Schweigens in Deutschland historisch ebenso?

Bauers Verdienst war ungeheuer groß, ein charismatischer, hochgebildeter Mensch, der trotz seines persönlich schweren Schicksals seine Ziele mit einem großen Humanismus verfolgt hat. Die Ermittlungen und Prozessführung hat er seinen jungen Staatsanwälten überlassen, sie gelenkt und ihnen politisch den Rücken freigehalten. Die Strategie mit einem großen Prozess die öffentliche Aufmerksamkeit gleichsam zum hinsehen zu zwingen, das war brillant.

Sie lassen den Zuschauer einen wahnsinnigen emotionalen Spannungsbogen durch die Berichte der Überlebenden bis hin zum Kaddisch, dem jüdischen Totengebet, gesprochen auf der grünen Wiese vor den übriggebliebenen Fundamenten der Todesfabriken in Auschwitz durchleben. Dabei verzichten Sie völlig auf dokumentarisches Material, verarbeiten weder Originalaufnahmen noch Fotos, warum?

Ich habe das Gefühl, die Gräueltaten sind im Film schon oft genug bebildert worden, ich fand es interessanter, sie im Kopf des Zuschauers entstehen zu lassen. Und Dokumentarmaterial aus dem Lager in einem Spielfilm zu benutzen, fände ich nicht richtig.

In vielen Schulen gehört „Im Labyrinth des Schweigens“ inzwischen zum Pflichtprogramm. Wie reagieren insbesondere junge Menschen auf Ihren Film?

Sie sind sehr interessiert, sie erfahren etwas über die Zeit, in der ihre Großeltern jung waren, beschäftigen sich mit dem Thema der Aufarbeitung. Und sie sehen den Weg eines jungen Mannes, der durch einen schwierigen Weg eine Wandlung durchmacht, reifer wird und seinen Weg erkennt.

Haben Sie auch Reaktionen von Menschen, die diese Zeit miterlebt haben? Gibt es Reaktionen von Entscheidungsträgern z. B. aus der Justiz, Wirtschaft und den Sicherheitsorganen?

Justizminister Maas war auf der Premiere und hat eine Rede gehalten, viele Politiker setzten sich für den Film ein. Und ich erlebe oft, dass nach Vorstellungen Menschen zu mir kommen, Richter und Staatsanwälte a. D., die sehr bewegt sind und sich für den Film und Portrait dieser Epoche bedanken.


Herr Ricciarelli wir danken Ihnen.

Vita: Giulio Ricciarelli


Der 1965 in Mailand geborene Schauspieler, Regisseur und Produzent GIULIO RICCIARELLI begann seine Karriere nach seiner Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule als Theaterschauspieler.
Er war 1989/90 am Theater Basel engagiert und spielte am Staatstheater Stuttgart, an den Kammerspielen München, am Schauspiel Bonn (1992-94) und am Bayerischen Staatsschauspiel.
Es folgten zahlreiche TV-Rollen, im Kino sah man Ricciarelli in „Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ (1996).
2000 gründete er – gemeinsam mit Sabine Lamby – die „naked eye filmproduction“, die sich mit Kinospielfilmen talentierter Nachwuchsregisseure einen Namen gemacht hat, etwa mit Filmen wie „Madrid“ (2002) und „Fremder Freund“ (2003).
Neben seiner Tätigkeit als Produzent arbeitet Ricciarelli auch als Regisseur: Sein Kurzfilm „Vincent“ wurde 2005 mit dem „Goldenen Spatz“ ausgezeichnet und erhielt eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis.
Es folgten weitere Kurzfilme – 2008 „Love it like it is“, 2009 „Ampelmann“, der im Kurzfilm-Wettbewerb des Filmfestivals Max Ophüls Preis lief, und ebenfalls für den Europäischen Filmpreis nominiert wurde.
„IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS“ ist Giulio Ricciarellis Kinospielfilmdebüt als Regisseur und Drehbuchautor.


Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Montag, 2. Februar 2015

Foto 2 und 3: Heike Ulrich / Claussen + Wöbke + Putz Filmproduktion GmbH / Universal Pictures

"Im Labyrinth des Schweigens"

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