Der Traum von Olympia

Ein Interview mit Reinhard Kleist.

Sie war der Publikumsliebling bei den Olympischen Spielen in Peking 2008: die 17jährige somalische Sprinterin Samia Yusuf Omar, obwohl sie als letzte Läuferin ins Ziel kam. Anders ist die Lage in ihrem vom Bürgerkrieg erschütterten Heimatland Somalia. Von islamistischen Extremisten bedroht, denn „Frauen treiben keinen Sport“, und in der Hoffnung an der Olympiade in London teilnehmen zu können, wagt sie die Flucht nach Europa. Ihre Odyssee endet sechs Monate vor Beginn der Olympischen Spiele. 2012 ertrinkt Samia Yusuf Omar vor der Küste Maltas im Mittelmeer. Bewegt von ihrem Schicksal erzählt Reinhard Kleist, der „Meister des zeichnerischen Erzählens“, ihre Geschichte in der Graphic Novel „Der Traum von Olympia“, erschienen 2015 im Carlsen Verlag. Im Gespräch mit Renate Müller De Paoli beschreibt er Samia als einen normalen Teenager „mit den gleichen Wünschen und Hoffnungen, die ein europäischer Teenager so hat.“

Reinhard Kleist
Reinhard Kleist (Foto: Copyright anjazwei.de)


Herr Kleist, in Ihrem Comic „Der Traum von Olympia“ halten Sie der Europäischen Gemeinschaft und ihrer verfehlten Flüchtlingspolitik einen herausfordernden Spiegel vor. Was war der Anstoß für Sie?


Ich hatte mich schon länger mit dem Thema beschäftigt. Aber ich wollte eben genau nicht ein Buch machen, das zu politisch ist. Mein Anliegen war eher, etwas über das Mädchen zu machen und ihre Geschichte in den Mittelpunkt zu stellen. So erfahren wir auch, dass hinter den Bildern der Flüchtenden auf den Booten oft monatelange, jahrelange Odysseen stehen, bis die Menschen überhaupt an die Küste des Mittelmeeres gelangen.


Aus den Tausenden und Abertausenden von „namenlosen Toten“, die auf der Flucht nach Europa in der „Todesfalle Mittelmeer“ ihr Leben verloren, geben Sie der jungen somalischen Sprinterin Samia Yusuf Omar, die 2012 vor der Küste Maltas ertrank, ein berührendes Gesicht – ein Gesicht, das nicht vergessen wird. Wie würden Sie Samia charakterisieren?

Als sehr willensstarkes junges Mädchen. Aber auch als normaler Teenager mit den gleichen Wünschen und Hoffnungen, die ein europäischer Teenager so hat. Deswegen können wir uns auch so gut mit ihr identifizieren.


Sie zeichnen eine junge kämpferische Frau, die trotz der Bedrohung durch die somalischen Islamisten – „Frauen laufen nicht“ – ihr Vater wurde schon von ihnen getötet – an ihrem Ziel und Traum 2012 bei den Olympischen Spielen in London anzutreten, festhält. Welche Möglichkeiten der Recherche haben Sie nutzen können?

Da war zuerst die Internetrecherche, die mich auch zu der Journalistin Teresa Krug führte, welche mit Samia befreundet war. Sie hat mich dann auch mit Samias Schwester Hodan bekannt gemacht, die wir in Helsinki besucht haben. Von ihr erfuhr ich sehr viel über die Flucht, die Familie und die Umstände, unter denen Samia in Mogadischu trainieren musste. Die zahlreichen leeren Stellen in ihrer Fluchtgeschichte konnte ich mit Hilfe von einigen somalischen Landsleuten füllen, die ich in Frankfurt treffen konnte. Einer hatte Samia sogar in einem Lager in Tripolis getroffen.


In ihrem Vorwort schreiben Sie, dass Samia auf ihrer Flucht mit der Familie und Freunden per Facebook immer in Kontakt stand. Haben Sie diese Einträge noch einsehen können?


Ja, ich habe sie aber zum großen Teil nicht lesen können, da sie auf Somali waren. Ich hätte sie aber auch nur ungern zitieren wollen, das wäre mir doch zu persönlich gewesen. So sind alle – bis auf einen kurzen Hilferuf – am Ende von mir formuliert, was ich aber schon im Vorwort klarstelle, um nicht einen falschen Eindruck zu erwecken.


Sie werden oft als „Meister des zeichnerischen Erzählens“ bezeichnet. Wie sind Sie im „Traum von Olympia“ vorgegangen? Wie läuft der Prozess in der „Werkstatt-Kleist“ bei der Umsetzung von Information, Zeichnung und Text?

Zuerst ist da natürlich die Recherche. Danach kommt das Zusammendampfen der Informationen auf eine schlüssige Dramaturgie. Das Script sieht dann aus wie ein Filmdrehbuch, mit Dialogen, Szenenbeschreibungen und Settings. Dann kommen Layout Skizzen und die Vorzeichnung für die finalen Seiten. Darüber folgt das Tuschen mit Pinsel. Und schließlich die Endarbeit am Rechner für Retusche und das Einsetzen der Sprechblasen.


Ich muss gestehen, ich bin kein Experte, was Comics anbetrifft und habe auch zunächst bei dem Gedanken geschluckt, ein solches Schicksal in einem Comic zu lesen. Können Sie das nachvollziehen? Sind Ihnen vielleicht selbst in diesem Fall Zweifel bzgl. der Form gekommen?


Mir selber nie, da ich den Comic als gleichwertig allen anderen Medien gegenüber betrachte. Aber manches Mal kamen schon Vorbehalte von Leuten, denen ich erst mal erklären musste, wie ich arbeite. Dann waren die aber auch immer interessiert und überrascht, was es im Comic noch alles gibt.


Ihr Comic berührt, erschüttert und schmerzt. Denn Samias Schicksal wirft nicht nur ein fürchterliches Licht auf die europäische Flüchtlingspolitik, sondern auch auf die internationale Sportgemeinschaft und ihre krassen Unterschiede, was u. a. Ernährung, Trainingsmöglichkeiten und finanzielle Absicherung betrifft. Welche Rolle spielt dieser Nebenschauplatz für Sie?

Ich fand es toll, dass Samia die Möglichkeit gegeben wurde, bei den Spielen zu laufen. Das geschah ja im Rahmen eines Sportförderprogramms für junge Sportler aus benachteiligten Ländern. Es wäre allerdings nötig gewesen, sich danach um sie zu kümmern. Inwieweit das nicht stattfand, da in ihrem Heimatland ja Bürgerkrieg herrschte, darüber wage ich kein Urteil abzugeben.


Welche Reaktionen erfahren Sie bei Ihren Lesungen von jungen Menschen auf die Geschichte von Samia?

Es ist immer wieder toll zu sehen, wie gebannt gerade Kinder und Jugendliche der Geschichte lauschen. Gerade sie können sich ja so gut in das Mädchen hineindenken. Und der Sprung von den gezeichneten Seiten zu den Hintergrund Fotos ist bei den Vorträgen immer wieder spannend, wenn die Zuhörer realisieren, dass die Geschichte ja echt ist und das Mädchen wirklich gelebt hat.


Herr Kleist wir danken Ihnen.

Vita: Reinhard Kleist


Reinhard Kleist, geboren 1970 in Hürth bei Köln, studierte Grafik und Design in Münster und lebt und arbeitet seit 1996 in Berlin, wo er sich heute mit den Comic-Zeichnern Fil, Mawil, Andreas Michalke und Naomi Fearn ein Atelier teilt. Er veröffentlichte zahlreiche Comics, unter anderem bei den Verlagen Ehapa, Landpresse, Reprodukt, Edition 52 und Carlsen. Neben seinen Comicarbeiten schuf Reinhard Kleist Illustrationen für Bücher und Plattencover. Darüber hinaus war er als Artdirector für Trickfilme tätig. Reinhard Kleist wurde für seine Comics bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter mit dem Max und Moritz-Preis für »Lovecraft« (Ehapa) und für »Cash – I see a darkness«. Für »Cash« erhielt er zudem den PENG!-Preis sowie den Sondermann-Preis und war mit dem Band sowohl für den »Eisner-Award« als auch für den »Harvey-Award« nominiert. Mit »Der Boxer« gewann der Berliner Künstler den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie »Sachbuch«. Vor der Biografie des jüdischen Boxers schuf Reinhard Kleist die Comic-Biografie »Castro« und brachte im Vorfeld dazu das Reisetagebuch »Havanna – eine kubanische Reise« heraus.


Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Mittwoch, 8. Juni 2015

Der Traum von Olympia

Ein Interview mit Reinhard Kleist.

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