Rembrandts Amsterdam – Goldene Zeiten?
In Kooperation mit dem Museum Amsterdam präsentiert das Städel Museum in Frankfurt zurzeit die Ausstellung Rembrandts Amsterdam – Goldene Zeiten?, die rund 100 Gemälde, Skulpturen und Druckgrafiken aus „Rembrandts Amsterdam“, dem sogenannten „Goldenen Zeitalter“ zeigt. Doch waren die Zeiten wirklich so golden, wie es die großen, selbstbewussten Gruppenbildnisse der bürgerlichen Elite Amsterdams vermuten lassen? Das Fragezeichen im Titel der Ausstellung deutet bereits darauf hin: Der rasante Aufstieg der Stadt zur Welthandelsmetropole hatte seine Schattenseiten. Eindrucksvoll zeigen die Amsterdamer Künstler, allen voran Rembrandt, auch dieses andere Gesicht der aufblühenden Stadt. Neben ihren lukrativen Auftragsarbeiten geben sie jenen Menschen, die in dieser Zeit als „nicht bildwürdig“ galten, eine machtvolle Stimme und halten somit auch unserer Zeit, in der die Schere zwischen Reichtum und Armut immer weiter auseinanderklafft, einen Spiegel vor.

(©Quelle: Städel Museum - Intro auf Webseite)
Amsterdam, einst eine kleine Siedlung an der Amstel, entwickelt sich innerhalb weniger Jahrzehnte – insbesondere nach Gründung der Ostindischen (1602) und Westindischen Handelskompanien (1621) – zu einem bedeutenden Magneten in Europa. Der Handel mit Gewürzen, Gold, Seide und Menschen aus den holländischen Kolonien in Asien, Afrika und Amerika beschert der Stadt einen einzigartigen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Börsengeschäfte florieren, die Spekulation boomt und die Baubranche erlebt einen Aufschwung, wie Gemälde vom Bau des prunkvollen, neuen Rathauses von Johannes Lingelbach (1656) oder der Innenhof der Börse von Amsterdam von Job Adriaensz. Berckheyde (ca. 1670) in der Ausstellung zeigen. Die bürgerliche, stolze Elite der Stadt lässt sich in monumentalen, von ihnen selbst finanzierten Gruppenbildnissen von den bedeutendsten Malern der Zeit ein repräsentatives Denkmal setzen, das in den Versammlungssälen ihrer Schützenhäuser ausgestellt wird. Die Ausstellung zeigt u.a. van der Helsts Gruppenbildnis der Vorsteher des Kloverniersdoelen (dt. Büchsenschützenhaus) (1655), sowie eine Zeichnung von Jacob Colijns nach Rembrandts Nachtwache im Rijksmuseum, dem berühmtesten Schützenbild.
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(© Städel Museum » Bildnachweise)

Nicolaes Eliasz Pickenoy (1588–1650/56) oder Werner van den Valckert, (zugeschrieben) Die Osteologie-Vorlesung des Dr. Sebastiaen Egbertsz, 1619
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Menschen aus ganz Europa, bedroht und entwurzelt durch Armut, Kriege, politische und religiöse Verfolgung, zieht es unaufhaltsam nach Amsterdam. Nach dem siegreichen, 80 Jahre währenden Unabhängigkeitskrieg der Niederlande gegen die spanische Monarchie herrschen hier Toleranz, Religions- und Gedankenfreiheit. Künste und Wissenschaft leben auf, Ärzte geben ihr Wissen in Vorlesungen einer größeren Zuhörerschaft weiter, festgehalten von Rembrandt in Die Anatomie-Vorlesung des Dr. Jan Deijman (1656) und Werner van den Valckert Die Osteologie-Vorlesung des Dr. Sebastiaen Egbertsz (1619), Gruppenbilder von Mitgliedern der Chirurgengilde werden gefertigt. Der Glanz und Aufstieg zieht die Menschen in der Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben an, sodass sich allein zu Rembrandts Lebzeiten (1606–1669) die Bevölkerungszahl in Amsterdam verdreifacht.
Doch nicht jeder kann dort seinen Traum verwirklichen und sein Glück finden, viele Menschen landen im Elend – eine Entwicklung, die wir in Großstädten weltweit auch heute, über 400 Jahre später, beobachten können. Allein in Deutschland leben derzeit laut Wohnungslosenbericht der Bundesregierung über 500.000 Menschen ohne festen Wohnsitz, darunter fast 50.000 Personen, die auf der Straße oder in Behelfsunterkünften übernachten.

Jacob Adriaensz Backer (1608–1651) Die Regentinnen des Burgerweeshuis, 1633/34
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Unbekannter Amsterdamer Künstler
Bildnis des „Malle Baandje“ (Barend Jansz Bode, 1648–1719?), ca. 1700
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In Amsterdam versuchen Bürgertum und Rat der Stadt dieser massenhaften Verelendung, die sich in den Straßen Amsterdams ausbreitet, mit dem Bau von Waisenhäusern, Obdachlosenunterkünften und Alters- und Pflegeheimen entgegenzuwirken. Angehörige der bürgerlichen Stadtelite, „die „Regenten“ und „Regentinnen“, übernehmen ehrenamtlich die Leitungsfunktionen in diesen sozialen Einrichtungen. In der Ausstellung ist beispielsweise die Einkleidung und Speisung der Waisen im Diaconieweeshuis von Jan Victors (1659/60) zu bewundern.
Selbstsicher und stolz lassen sich die Regentinnen des Burgerweeshuis (1633/34) als Beschützerinnen der Waisen im Gemälde von Jacob Adriaensz. Backer zelebrieren. Im „Burgerweeshuis“ (dt. Bürgerwaisenhaus) finden elternlose Kinder von Amsterdamer Bürgerfamilien Obdach, Verpflegung und eine Ausbildung, bis sie alt genug sind, um auf eigenen Beinen zu stehen. Anders als die Regentinnen und Regenten gelten die Kinder jedoch nicht als bildwürdig, entsprechend anonym und typisiert ist ihre Darstellung.
Umso mehr erstaunt und beeindruckt das Bildnis des „Malle Baandje“ (Barend Jansz Bode), der wegen einer geistigen Einschränkung lebenslang im Bürgerwaisenhaus blieb, gefertigt von einem unbekannten Amsterdamer Künstler (ca. 1700), in der für alle Waisen des Burgerweeshuis typischen rot-schwarzen Tracht.

Pieter Pietersz (1540/41–1603)
Ein Mann bedrängt eine Frau am Spinnrad, ca. 1560–70
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Erstaunlich für die damalige Zeit, wenn auch aus heutiger Sicht und jetzigem Wissensstand fragwürdig, beschreitet das Amsterdamer Bürgertum auch neue Wege im Umgang mit Menschen, die auf die schiefe Bahn geraten sind. Erstmals werden Zucht- und Korrektionshäuser in der Stadt eingerichtet, die bald in ganz Europa nachgeahmt werden. Arbeit und strenge Kontrolle sollen die Insassen wieder zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft machen.
Männliche Bettler und Kleinkriminelle werden im sogenannten Rasphuis untergebracht, wo sie das harte brasilianische Rotholz raspeln müssen, aus dem ein roter Farbstoff für die Textilindustrie gewonnen wird.
Straffällig gewordene Frauen und Prostituierte bringt man ins Spinhuis, wo sie textile Handarbeiten anfertigen müssen. Auch hier übernehmen neben den sonst ausschließlich männlichen Regenten Frauen der Oberschicht als Regentinnen ehrenamtlich die Leitungsverantwortung, frei nach dem Motto über dem Eingang des Spinhuis: „Erschrecke nicht. Ich räche nichts Böses, sondern zwinge zum Guten. Streng ist meine Hand, aber liebevoll mein Herz.“
Umso bedenklicher, jedoch auch äußerst aktuell, ist das Gemälde von Pieter Pietersz Ein Mann bedrängt eine Frau am Spinnrad (ca. 1560–70) in der Ausstellung.

Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606–1669)
Bettler, auf einem Erdhügel sitzend, 1630
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Insbesondere Rembrandt hat zeitlebens mit scharfem Blick soziale Missstände in seiner Kunst angeprangert. Die Ausstellung präsentiert eine Auswahl seiner Radierungen aus dem Bestand des Städel Museums. Für ihn sind Amsterdams Bettler, Kranke, Straßenverkäufer und -musikanten ebenso bildwürdig wie die bürgerliche Elite der Stadt.
Ausgegrenzte, Außenseiter und Ausgestoßene – „die nicht zu Wortkommenden“* damals wie heute – finden in Rembrandt ein „Sprechrohr“*. Dabei spielt er auch mit seiner eigenen Physiognomie: In der Radierung Bettler, auf einem Erdhügel sitzend (1630) verleiht er dem Bettler seine eigenen Gesichtszüge.
Könnte es ein größeres menschliches Zeichen, eine stärkere menschliche Reaktion geben? Könnte es eine eindringlichere Mahnung, einen inständigeren Ruf nach Menschlichkeit auch an uns, die wir im 21. Jahrhundert leben, geben?
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*Käthe Kollwitz
Das Städel Museum zeigt die Ausstellung Rembrandts Amsterdam – Goldene Zeiten? bis zum 23. März 2025.
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Der Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von Jochen Sander, ist im Hirmer Verlag, München erschienen.