Zusammenspiel von Politik und Poetik

Vortrag auf einer Veranstaltung des Convivio Mundi e.V. am 11. 06. 2007
Referentin: Janina Schmiedel

Eine junge Absolventin der Germanistik gab uns am 11.6. als Rednerin unserer ersten Vortragsveranstaltung die Ehre. Janina Schmiedel hatte sich während ihrer Magisterarbeit intensiv mit Heinrich Heine beschäftigt, und wir, d.h. etwa ein Dutzend Zuhörer, waren sehr gespannt, was sie uns über diesen frechen Revoluzer mit der spitzen Feder würde erzählen können.
Zuerst einige biographische sowie geschichtliche Informationen. So war die Zeit nach den Karlsbader Beschlüssen in Deutschland gekennzeichnet durch eine politische Erstarrung. Und das bedeutete für Systemkritiker wie Heine, den Hauptvertreter der literarischen Bewegung "Junges Deutschland", politische Verfolgung und Verbot seiner Schriften. Vor allem die revolutionären Entwicklungen 1830 in Frankreich, von denen Heine sich inspiriert fühlte, waren der Grund für seine Übersiedlung nach Paris.
Wofür Heine kämpfte, wird sehr gut deutlich, wenn man den Beginn von "Deutschland. Ein Wintermärchen" liest:

Im traurigen Monat November war's,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.

Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.

Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew'gen Wonnen.

Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.

Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.

Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.


Heine begrüßte Revolutionen, wo immer sie sich im damaligen Europa auftaten (er war u.a. freundschaftlich mit Karl Marx verbunden). Aber immer war er auch enttäuscht von dem, was sich in der Realität an Gewalt und Pervertierung abspielte. Und lebte er heute hier, würde er dies "Himmelreich auf Erden" sehen, in dem kaum jemand hungern muss und Krankheiten viel von ihrem Schrecken verloren haben, wäre er vielleicht auch enttäuscht von der Realität?
Heines großes Problem, welches Frau Schmiedel in den Mittelpunkt ihres Vortrags stellte, war, wie man Politik und Poetik miteinander vereinbaren kann. So dass der Selbstzweck der Kunst von den politischen Zeitthemen, welche den Gegenstand der Kunst darstellten, trotzdem nicht berührt würde. Wie phanthasiereich Schriftsteller damals den eigentlichen Inhalt ihrer Texte allein vor der politischen Zensur zu verbergen verstanden, machte Frau Schmiedel auch an wenigen Beispielen wie dem Gedicht "Der Kaiser von China" deutlich. Natürlich handelt das Gedicht nicht wirklich über China sondern eigentlich von Preußen, und mit dem Kaiser ist in Wirklichkeit König Friedrich Wilhelm IV gemeint. Hier waren die Künstler also geradezu gezwungen, zum Mittel der Metapher zu greifen. Das Ergebnis war oft köstlich für den, der den Bezug verstanden hatte.
Dennoch war Heines Resume über sein Schaffen zum Teil von Enttäuschung geprägt. Dies wird am allerdeutlichsten in dem Gedicht "Enfant perdue":

Verlorner Posten in dem Freiheitskriege,
Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus.
Ich kämpfte ohne Hoffnung, daß ich siege,
Ich wußte, nie komm' ich gesund nach Haus.

Ich wachte Tag und Nacht - Ich konnt' nicht schlafen,
Wie in dem Lagerzelt der Freunde Schar -
(Auch hielt das laute Schnarchen dieser Braven
Mich wach, wenn ich ein bißchen schlummrig war).

In jenen Nächten hat Langweil' ergriffen
Mich oft, auch Furcht - (nur Narren fürchten nichts) -
Sie zu verscheuchen, hab' ich dann gepfiffen
Die frechen Reime eines Spottgedichts.


Auch uns noch hatte dieses Gedicht sehr ergriffen, als es Frau Schmiedel vortrug. Nach dem Vortrag konnten wir eine Menge Fragen an sie stellen, und so entspann sich eine Diskussion darüber, warum die Revolutionen damals (wie heute) immer irgendwie schiefgingen. Wir erfuhren auch noch, dass sich Heines Meinung von der Religion in den letzten zwei Jahrzehnten seines Lebens änderte. Heine wollte, wie auch die klassischen Dichter wie Lessing oder Schiller vor ihm, durch Kunst die Menschen verändern. Vielleicht, so denke ich mir, hat er verstanden, dass ohne Gott jeder noch so gut gemeinte Humanismus am Ende doch wieder unmenschlich wird.
So endete das Gedicht vom "verlorenen Kind":

Ja, wachsam stand ich, das Gewehr im Arme,
Und nahte irgendein verdächt'ger Gauch,
So schoß ich gut und jagt' ihm eine warme,
Brühwarme Kugel in den schnöden Bauch.

Mitunter freilich mocht' es sich ereignen,
Daß solch ein schlechter Gauch gleichfalls sehr gut
Zu schießen wußte - ach, ich kann's nicht leugnen -
Die Wunden klaffen - es verströmt mein Blut.

Ein Posten ist vakant! - Die Wunden klaffen -
Der eine fällt, die andern rücken nach -
Doch fall' ich unbesiegt, und meine Waffen
Sind nicht gebrochen - nur mein Herze brach.


Geschrieben von Hagen Lorenz
Mittwoch, 20. Juni 2007

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